Therapeutisches Fasten bei Multipler Sklerose: Was bringt’s – und wie funktioniert’s?
Dass unsere Ernährung einen wichtigen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit hat, ist hinlänglich bekannt. Doch auch das Weglassen von Nahrung kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Gemeint ist damit nicht bloß die Frage, ob man sich zerknirscht die nächste Currywurst oder ein dickes Stück Sahnetorte verkneift, sondern es geht vielmehr um einen umfassenden Verzicht. Gemeint ist also: das Fasten. Die therapeutische Wirkung des Fastens ist gut belegt und wird – vor allem im Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose – intensiv erforscht.
Was bedeutet es, zu fasten?
Unter Fasten versteht man den völligen oder teilweisen Verzicht auf Getränke, Speisen oder Genussmittel über einen bestimmten Zeitraum hinweg. Der Begriff kommt aus dem Althochdeutschen – also der Sprache unserer Vorfahren vor über 1.000 Jahren – und bedeutet ganz einfach „festhalten“. Gemeint war das Festhalten an den Geboten der Enthaltsamkeit. In vielen Religionen gab und gibt es Fastenregeln, vor allem zu rituellen Zwecken oder zur spirituellen Reinigung. Sehr bekannt sind etwa die Fastenzeit im Christentum oder der Ramadan im Islam. Doch auch der medizinische Nutzen des Fastens wurde schon früh erkannt. So mahnte angeblich schon Hippokrates, der wohl berühmteste Arzt des Altertums, dass man ein kleines Weh „eher durch Fasten als durch Arznei“ heilen solle. Ein weiterer berühmter Arzt gilt als der Erfinder des Heilfastens: Der Darmstädter Arzt Otto Buchinger beschrieb Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts umfassend die positiven Folgen des Fastens zum Beispiel auf Blutwerte und Blutdruck. Aktuelle Studien machen Hoffnung, dass das Fasten auch bei Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose positive Effekte zeigen kann.
Fasten und MS: Erste Studien zeigen positive Ergebnisse
Forscher der University of Southern California gingen im Jahr 2016 der Frage nach, ob sich eine Fastenkur positiv auf die Symptome der Multiplen Sklerose auswirken könnte. Zu diesem Zweck setzten sie Mäuse mit einer Autoimmunerkrankung auf eine Radikaldiät. Jeweils drei Tage pro Woche hieß es für die Nager: „No cheese, please.“ – und auch sonst nichts. Und tatsächlich: Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die ganz normal ernährt wurde, zeigten die fastenden Tiere nach bereits drei Zyklen eine deutliche Verbesserung der Symptome. Die Forscher stellten in den Körpern der Tiere zudem eine geringere Menge von Entzündungsbotenstoffen fest und konnten sogar nachweisen, dass eine Remyelinisierung stattfand. Gemeint ist damit eine Wiederherstellung der Myelinscheide um die Nervenfasern, die durch die Multiple Sklerose beschädigt wird. Tierversuche lassen sich selbstverständlich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen. Aus diesem Grund unternahm die Berliner Charité im selben Jahr eine Pilotstudie mit 60 MS Patienten, die über einen Zeitraum von 6 Monaten unterschiedliche Diäten einhielten. Mit Erfolg: Die Lebensqualität der fastenden Patienten und die von denen, die eine ketogene Diät (streng kohlenhydratarme Ernährung) durchführten, war besser als bei den Personen mit einer normalen Ernährung.
Weitere Studie soll Klarheit bringen
Aufgrund der positiven Ergebnisse der Berliner Studie findet derzeit eine Nachfolgestudie zum Fasten bei Multipler Sklerose statt. Studienleiter der so genannten NAMS-Studie (Nutritional Approaches in Multiple Sclerosis) ist Prof. Dr. Friedmann Paul des NeuroCure Clinical Research Centers der Charité. Die Studie umfasst 7 Besuche der Forscher bei den über 100 Teilnehmern innerhalb eines Studienzeitraums von 18 Monaten. Die Probanden werden dabei in drei Gruppen eingeteilt, die erneut jeweils eine andere Art der Ernährungsumstellung testen:
- Entzündungshemmende Ernährung: Bei dieser Ernährungsform schränken die Probanden ihren Fleischkonsum ein, um die Qualität der Nahrungsfette zu erhöhen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DEG) empfiehlt bei Multipler Sklerose eine lactovegetarische Kost, die sich durch einen höheren Anteil von Omega-3-Fettsäuren auszeichnet.
- Adaptive katogene Ernährung: Bei dieser therapeutischen Fastenform verzichten die Probanden umfassend auf Kohlehydrate. Das Gehirn wird dabei dazu angeregt, Ketonkörper (Fettabkömmlinge) statt Glukose als Energiequelle zu verwenden. Die dadurch angeregte Stabilisierung der Nervenzellenfunktion wurde vor allem bei der Behandlung von Epilepsie umfassend beobachtet.
- Intermittierende kalorische Restriktion: Hierbei sollen die Versuchsteilnehmer im Verlauf der Studie dreimal eine Woche fasten, indem sie in diesen Zeiträumen vollständig auf feste Nahrungsmittel verzichten. Auf dem Speiseplan stehen also Gemüsesäfte oder Brühen. Anschließend führen die Teilnehmer ein Intervall-Fasten fort, bei dem sie jeweils 16 Stunden am Tag keine feste Nahrung zu sich nehmen.
Abschließend sollen die Auswirkungen auf die Symptome und die Lebensqualität der Probanden bewertet werden, um bessere Aussagen über den Wert der Diäten und des Fastens treffen zu können. Interessenten finden weitere Informationen zur laufenden Studie in unseren Links am Ende des Artikels.
Persönliche Erfahrungen mit MS und Fasten
Kann eine Fastenkur die Symptome der Multiplen Sklerose im individuellen Fall tatsächlich verbessern? Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Vor allem die Einnahme des Medikamentes Tecfidera ist für vielen MS-Patienten an regelmäßige Mahlzeiten gebunden, da es auf nüchternen Magen Nebenwirkungen – wie Bauchkrämpfe oder Sodbrennen – erzeugen kann. Interessant sind aber die Erfahrungsberichte von MS-Bloggern im Internet. So berichtet beispielsweise Julia Hubinger in ihrem Blog „Mama Schulze“: „Mir geht es wirklich richtig gut damit- das hätte ich nicht gedacht, dass ich sofort eine Verbesserung spüre. (…) Da ist plötzlich so eine Leichtigkeit und Energie. Darüber hinaus habe ich gemerkt, dass ich die letzten beiden Nächte viel besser geschlafen habe. Noch kann ich nicht bewerten, ob das Zufall ist oder mit dem Fasten zusammenhängt.“ Hubinger hatte sich bei ihrem Selbstversuch für die 16:8-Variante des Fastens entschieden, bei der man 16 Stunden am Tag keine feste Nahrung zu sich nimmt.
Oft unterschätzt: Die Folgen für das Sozialleben
Fasten kann die Lebensqualität von MS-Patienten möglicherweise erhöhen, und zwar nicht nur durch eine Verbesserung der Symptome, sondern auch durch das gute Gefühl, dass es eine weiteren Ansatzpunkt gibt, den Krankheitsverlauf selbst aktiv zu beeinflussen. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Besonders geschwächte Personen oder Patienten mit Untergewicht gehen mit dem Fasten unter Umständen ein Risiko ein. Wer das therapeutische Fasten in Betracht zieht, sollte sich auf jeden Fall mit dem behandelnden Arzt besprechen und eventuell eine Ernährungsberatung konsultieren, um Dauer und genaue Durchführung genau zu planen. Die aktuellen Studien machen zwar Hoffnung, bieten aber noch keine abschließenden, medizinisch belastbaren Ergebnisse. Und auch für das Sozialleben gibt es Nachteile: Ein romantisches Candlelight Dinner beim Lieblingsitaliener, eine lustiges Geburtstagsessen mit der Familie oder ein Sonntagsbrunch mit Freunden – das alles wird für den Fastenden uninteressant, wenn nicht gar zur Qual. Ob das Fasten für den Einzelnen in Frage kommt, hängt also von zahlreichen individuellen körperlichen und sozialen Faktoren ab. Ein möglicher Weg zu mehr Wohlbefinden ist das Fasten für MS-Patienten aber allemal.