Optische Täuschungen: Die Tücken der Wahrnehmung
Für die meisten Menschen ist das Auge der wichtigste Sinn. Farben können uns vor Gefahr warnen, wir können und mühelos im dreidimensionalen Raum bewegen, und aus Gesichtern können wir in Sekundenschnelle komplexe Emotionen herauslesen. Unser Gehirn erbringt ständig Höchstleistungen, um diese Masse an Informationen zu bewältigen. Schon kleine Abweichungen von Gewohntem können dazu führen, dass wir etwas anderes sehen, als wir eigentlich erwartet haben. Diesen Trick machen sich viele optische Täuschungen zu Nutze. Damit geben sie allerdings auch einen Blick darauf preis, wie unser Gehirn Sinnesreize verarbeitet. Da optische Täuschungen außerdem auch einfach Spaß machen können, möchten wir einen Blick hinter die Kulissen werfen und Ihnen einige der interessantesten Phänomene vorstellen.
Optische Täuschungen sind ebenso irritierend wie faszinierend.
Wie funktioniert Wahrnehmung?
In jeder Sekunde prasseln unzählige Informationen über die verschiedenen Sinne auf uns ein: Wir riechen und schmecken die Luft, die uns umgibt. Unsere Haut misst die Temperatur und fühlt Luftströmungen und Berührungen. Wir hören das Rascheln der Blätter im Wind und Schritte, die sich uns nähern. Und wir beobachten spielende Hunde und lachende Menschen. Würden wir alle Sinneseindrücke gleichzeitig und ohne Priorisierung wahrnehmen, wir wären mit dieser Informationsflut heillos überfordert. Unser Gehirn filtert diese Informationen und präsentiert uns nur diejenigen, die gerade nützlich erscheinen. Wir können in den meisten Fällen unterscheiden, ob die Berührung am Arm von einem Windstoß oder einem Insekt stammt. Außerdem interpretiert das Gehirn unsere Wahrnehmung. Es hilft uns, zu unterscheiden, ob die Hunde tatsächlich nur miteinander spielen oder ob sie vielleicht angriffslustig sind und eine Gefahr für uns darstellen. Selbst wenn die Hunde noch relativ weit entfernt sind, können wir trotzdem ihre Größe recht gut einschätzen. Um das Alles zu realisieren, greift unser Gehirn vor allem auf Erfahrung zurück. Neue Seheindrücke werden dann mit der Erfahrung abgeglichen und in einen dazu passenden, sinnvollen Zusammenhang gebracht. Das ist auch der Grund, warum wir mühelos Figuren oder Gesichter erkennen können, wenn wir uns Wolken anschauen. Oder wir erkennen Dreiecke und Quadrate dort, wo eigentlich gar keine sind.
Erfahrung erzeugt Formen, wo keine sind.
Räumliche Täuschungen
Dabei ist schon die räumliche Wahrnehmung eine Illusion unseres Gehirns. Denn das Bild, das die Netzhaut einfängt, ist zweidimensional. Aus dem leicht unterschiedlichen Blickwinkel der beiden Augen, Fluchtlinien und der Erfahrung, dass weiter entfernte Gegenstände dunkler erscheinen, baut das Gehirn unsere plastische Welt zusammen. Viele optische Täuschungen spielen mit diesen Elementen. Vor allem Fluchtlinien verstärken den Effekt von perspektivischen Größentäuschungen. Denn Größe wird in Abhängigkeit von der Umgebung wahrgenommen. Weiter entfernte Personen erscheinen uns größer, als es dem Abbild auf der Netzhaut entspricht. Dadurch wird die folgende Illusion möglich. Die drei Figuren sind exakt gleich groß. Sie können das gerne nachmessen. Da aber die hinteren Figuren weiter entfernt zu stehen scheinen, denkt das Gehirn, dass diese Personen auch größer sein müssen.
Eine Illusion der räumlichen Wahrnehmung.
Linien und Kontraste
Wie schwer es ist, eine imaginäre gerade Linie im Auge zu behalten, weiß jeder der schon mal versucht hat, ein Bild ohne Hilfsmittel waagerecht aufzuhängen. Doch auch gezeichnete Linien lassen sich nicht immer ganz leicht verfolgen. Starke Kontraste und zusätzliche Hilfslinien können selbst das präziseste Augenmaß gehörig durcheinanderbringen. Vielleicht war es auch einfach nur eine Montagsarbeit, doch bei der folgenden Kachelwand, scheint einiges schief gegangen zu sein. Keine der waagerechten Linien scheint parallel zur nächsten zu verlaufen und selbst die einzelnen Kacheln wirken irgendwie verzerrt. Tatsächlich handelt es sich jedoch um exakte Rechtecke, die auf parallelen Linien angeordnet sind. Diese Illusion ist auch als Kaffeehaus-Täuschung bekannt, da sie 1973 an der Fassade eines Cafés in Bristol entdeckt wurde. Wie genau diese Illusion zustande kommt, ist noch nicht abschließend geklärt.
Die so genannte Kaffeehaus-Täuschung.
Der springende Punkt
Starke Kontraste können noch mehr, als Winkel zu verzerren. Sie können uns auch etwas sehen lassen, was gar nicht da ist. Das Szintillationsgitter besteht aus dunklen Kacheln, die durch helle Bahnen abgetrennt sind. Die Kreuzungen sind durch helle Punkte hervorgehoben. Wird das Gittermuster im richtigen Abstand betrachtet, erscheinen auf den Kreuzungen dunkle Punkte, und zwar immer genau da, wo man gerade nicht genau hinschaut.
Dunkle Punkte im Szintillationsgitter.
Die größte Illusion – scharfes Sehen
Ein Erklärungsansatz für dieses und viele andere optische Phänomene könnte in der Art liegen, wie unser Gehirn unsere Sehreize verarbeitet. Dazu müssen wir einen weiteren Blick hinter die Kulissen werfen. Wir glauben stets ein scharfes Abbild unserer Umwelt im Blickfeld zu haben. Doch tatsächlich ist das Auge gar nicht dazu in der Lage, ein solches Abbild zu liefern. Lediglich ein kleiner Bereich der Netzhaut ist dazu in der Lage, ein wirklich scharfes Bild zu erzeugen. Nur die Makula Lutea, auch bekannt als der gelbe Fleck, verfügt über ausreichend viele Sehzellen, um das zu ermöglichen. Die Makula deckt aber nur einen relativ kleinen Bereich unseres Blickfeldes ab. Also sind die Augen ständig in Bewegung und nehmen kleine Momentaufnahmen auf. Das Gehirn setzt diese dann zu einem Gesamtbild zusammen, das uns scharf erscheint. Für alles was am Rand unseres Blickfeldes geschieht, trifft das Gehirn ganz einfach Vorhersagen und füllt das Bild so auf, wie es sinnvollerweise aussehen müsste. Das mag unglaublich klingen, lässt sich aber mit einem einfachen Beispiel belegen. Ganz in der Nähe der Makula befindet sich der sogenannte blinde Fleck. An dieser Stelle tritt der Sehnerv aus der Netzhaut aus und es befinden sich daher dort keine Sehzellen. Normalerweise müsste sich also ein schwarzer Fleck in unserem Sehfeld befinden aber das Gehirn füllt die fehlende Information einfach selbst auf. Normalerweise funktioniert das so zuverlässig, dass wir davon nichts merken. Doch solche – für das Auge extremen – Muster können dieses System mächtig durcheinander bringen. Das lässt sich wortwörtlich auf die schwindelerregende Spitze treiben und uns Bewegungen sehen, wo gar keine sind.
Muster können Bewegungen erzeugen.
Schaden optische Illusionen meinen Augen?
Wenn Sie auf eine Illusion treffen, müssen Sie sich also keine Sorgen um die Gesundheit Ihrer Augen machen. Viele Illusionen funktionieren tatsächlich sogar nur mit gesunden Augen. Andererseits können einige Täuschungen auch der Hinweis auf eine Erkrankung der Augen sein. Insbesondere eine Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) kann zu Beeinträchtigungen führen, die sich mit optischen Täuschungen verwechseln lassen. Denn sie führt zu Beeinträchtigungen der Sehfunktion genau im Bereich der Makula, also des schärfsten Sehens. Diese Fehlinformation kann das Gehirn nicht mehr ausgleichen. Verzerrte Linien, Löcher oder graue Schleier im Blickfeld können Anzeichen für eine AMD sein. Auch wenn es den Arztbesuch selbstverständlich nicht ersetzt – mit dem Amsler-Gitter-Test lässt sich auch zu Hause recht einfach testen, ob eine AMD vorliegen könnte. Wie das funktioniert, erfahren sie hier.
Optische Täuschungen – verwirrend und spannend
Optische Täuschungen verwirren uns, aber sie sind auch faszinierend. Sie gaukeln uns Formen vor, wo keine sind, sie erzeugen Bewegungen in statischen Bildern oder sie verändern die Art, wie wir die Ausdehnung des Raums wahrnehmen. Die Gründe für optische Täuschungen liegen in der Art und Weise, wie unsere Augen und unser Gehirn zusammenarbeiten: Was uns an optischen Informationen für eine sinnvolle Wahrnehmung der Welt fehlt, wird vom Gehirn mit Erfahrungen gefüllt. Wem misstrauen Sie jetzt mehr: Ihren Augen oder Ihrem Gehirn?