Krisen meistern mit mehr Resilienz
Wir erleben im Leben Krisen, die uns alle im Alltag unterschiedlich beeinflussen. Dies war zum Beispiel während der Corona-Pandemie so. Zur Angst um die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen kommt für viele die Sorge um die wirtschaftliche Existenz hinzu. Wir müssen im notdürftig eingerichteten Homeoffice trotzdem unser Pensum schaffen, nebenher aber zusätzlich auch noch die Kinder unterrichten. Doch es gibt auch Menschen, die den Stress souverän zu meistern scheinen. Wie kann das sein? Das Zauberwort heißt Resilienz – und die kann man lernen.
Resiliente Menschen haben einen Werkzeugkasten um die eigenen Ressourcen zu stärken.
Was ist Resilienz?
Resilienz ist so etwas wie das Immunsystem unserer Psyche. Resilienz beschreibt unsere Widerstandskraft, also unsere Fähigkeit, mit Widrigkeiten umzugehen. Der Ursprung des Begriffes liegt in dem lateinischen Wort “resilire”, was mit zurückspringen oder abprallen übersetzt werden kann. In diesem Sinne wird Resilienz auch im technischen Bereich verwendet. Werkstoffe oder ganze technische Systeme, die nach einer Störung wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehren und weiterhin funktionieren, werden als resilient bezeichnet. Ein Ball, der gegen eine Wand geschossen wird, verformt sich am Fuß, dann verformt er sich noch einmal an der Wand und am Ende liegt er wieder als kugelrunder Ball auf dem Boden. Die psychische Resilienz beschreibt weniger das einfache Dagegenhalten der Wand als vielmehr die Reaktion des Balles: Es geht um die Fähigkeiten, die notwendig sind, um nach einer belastenden Situation wieder zum Normalzustand zurückzufinden.
Worum geht es bei der Resilienzforschung?
Die Resilienzforschung geht auf die Frage zurück, welche seelischen Faktoren und Strukturen dafür verantwortlich sind, dass ein Mensch einen psychischen Rückschlag verarbeiten kann, ohne dass schwerwiegende Folgen zurückbleiben. Mittlerweile ist Resilienz zu einem Modewort der psychologischen Forschung geworden. Insbesondere in der Präventionsarbeit kommt der Resilienzbegriff zum Einsatz: Wie kann man Erkrankungszahlen reduzieren und Selbstentfaltung ermöglichen? Gibt es einen Schlüssel, der es uns ermöglicht, trotz erlebter Krisen gesund zu bleiben? Resilienzfragebögen und –trainings versprechen eine schnelle Besserung der psychischen Gesundheit. Dabei werden nicht die Defizite oder Belastungen einer Person in den Vordergrund gestellt, sondern ihre Ressourcen und Fähigkeiten, damit umzugehen. Eine resiliente Person ist selbst fähig, etwas zu bewirken – statt sich als “Opfer” ihrer Situation zu betrachten. Das Rezilienz-Konzept baut darauf auf, dass Menschen kompetent und selbstverantwortlich auf ihre Umwelt reagieren können – und selbst Lösungen für ihre Probleme zu finden.
Wodurch wird man resilient?
Der Ball verdankt seine Widerstandskraft vor allem einer luftgefüllten Gummiblase. Welche Faktoren die Resilienz von Menschen bestimmen, hat erstmals die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner in den 1970er Jahren beschrieben. In einer Langzeitstudie beobachtete sie fast 700 hawaiianische Kinder über mehrere Jahrzehnte. Die Kinder kamen allesamt aus schwierigen Verhältnissen. Entgegen der damals vorherrschenden Annahme gelang es jedoch einem Drittel der Kinder, ein erfülltes Leben zu führen. Emmy Werner führte das darauf zurück, dass diese Kinder eine dauerhafte, stabile und zuverlässige Bindung zu einem anderen Menschen hatten. Sei es ein Elternteil, ein naher Verwandter oder ein enger Freund. Außerdem hatten die Kinder gelernt, dass sie selbst ihr Leben zum Besseren wenden können – durch ihr eigenes Handeln. Sie hatten also Selbstwirksamkeit gelernt. Soziale Kompetenz, Beziehungsfertigkeiten und Selbstwirksamkeit sind Faktoren, die zur Resilienz beitragen.
Ein Werkzeugkasten mit Stärken
In der Psychologie spricht man von sogenannten “Ressourcen”, die einem Mensch zur Verfügung stehen. Ressourcen sind Fähigkeiten, Energiequellen oder Anlaufstellen, auf die ein Mensch zurückgreifen kann, um eine Krise zu bewältigen – sozusagen sein “Werkzeugkasten”. Es ist selten so, dass es einem Menschen vollständig an Ressourcen mangelt – jeder Mensch hat eigene Stärken. Oftmals fällt es eher schwer, sich in Momenten der Hoffnungslosigkeit daran zu erinnern, diese Stärken auch tatsächlich für sich zu nutzen. Man kann Resilienz daher auch als Fähigkeit verstehen, den eigenen Werkzeugkasten zu kennen und im richtigen Moment einzusetzen.
Eine gute Selbstwahrnehmung hilft beim Aufbau von Resilienz.
Selbstwahrnehmung und kreatives Denken
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt diese Ressourcen auch “Kernkompetenzen” (core life-skills), mit denen man gestärkt durchs Leben gehen kann: Dazu zählen beispielsweise eine gute Selbstwahrnehmung, kreatives Denken, die Bewältigung eigener Gefühle oder kommunikative Kompetenz. Selbstwahrnehmung befähigt dazu, die eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen zu erkennen. Mit kreativem Denken können auch unbekannte Herausforderung auf neuen Wegen angegangen werden. Wer gelernt hat, seine Gefühle zu bewältigen, kann auch in Stresssituationen angemessen mit Wut, Trauer oder Hoffnungslosigkeit umgehen. Kommunikative Kompetenz oder interpersonale Beziehungsfertigkeiten stehen für die soziale Komponente der Stressbewältigung: Wer eine Stresssituation bewältigen möchte, muss das nicht allein schaffen. Auch die Fähigkeit, sich im richtigen Moment Hilfe zu holen, steigert die eigene Resilienz!
Kann man Resilienz lernen?
Resilienz ist nicht die Fähigkeit, der Fels in der Brandung zu sein. Resilienz ist ein aktiver Prozess. Um sich aus Drucksituationen oder Krisen zu befreien benötigt es eigenes Handeln. Je besser die eigenen Ressourcen erreichbar sind, umso leichter gelingt das. Resilienz ist so betrachtet kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität. Genauso wie der Gummiball sich verformt, um den Stoß an der Wand abzufedern, können sich auch Menschen flexibel an Situationen anpassen. Der Schlüssel liegt dabei oft in der Bewertung der eigenen Situation. Gelingt es einer Person, auch in Stresssituationen noch einen Lichtblick zu entdecken, bleibt sie aktiv, statt aufzugeben. Diesen Glauben, selbst eine Veränderung bewirken zu können, bezeichnet man als “positiven Bewertungsstil”. Menschen mit positivem Bewertungsstil machen sich zwar keine Illusionen, neigen aber dazu, eher einen positiven Verlauf der Dinge anzunehmen. Sie fokussieren sich auf die Optionen, die ihnen zur Verbesserung der Situation offenstehen.
Entwicklung von Strategien
Kompetenzen und Bewertungsstile kann man trainieren. Vor allem Kinder können sich die notwendigen Kompetenzen sehr gut aneignen, weswegen die WHO weltweit Programme zur Förderung dieser Kernkompetenzen anregt. Doch auch im Erwachsenenalter lässt sich noch an der eigenen Resilienz arbeiten. Den eigenen Bewertungsstil kann man umlernen, indem man neue Assoziationen knüpft. Beispielsweise kann man üben, in kritischen Situationen nicht automatisch vom schlimmsten auszugehen, sondern sich zu fragen: “Was kann ich hier und jetzt tun, um die Lage ein kleines bisschen besser zu machen?” So lassen sich Strategien entwickeln, die dabei helfen, sich Schritt für Schritt mit Blick nach vorne aus Krisensituationen herauszuarbeiten. Forscher und Forscherinnen gehen allerdings davon aus, dass es sich bei diesem Umlernen um einen eher langfristigen Prozess handelt, auf den man sich einlassen muss. Ein Stressbewältigungs-Seminar am Arbeitsplatz kann zwar gute Ideen liefern – es lediglich abzusitzen wird die langfristige Resilienz allerdings kaum steigern.
Resiliente Menschen können mit belastenden Situationen besonders gut umgehen.
Wie sieht Resilienz im Alltag aus?
Sie fragen sich jetzt vielleicht, was Sie im Alltag konkret für Ihre Resilienz tun können. Es geht dabei vor allem darum, die eigenen Ressourcen zu stärken – also den Werkzeugkasten vorzubereiten, damit man in Stresssituationen darauf zurückgreifen kann. In der Coronakrise haben Sie vielleicht selbst gemerkt, dass es vielen schwerer gefallen ist, Angewohnheiten beizubehalten, die ihnen normalerweise guttun. Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) hat daher verschiedene Tipps gesammelt, die die psychische Gesundheit während der Krise stärken können. Wir stellen hier drei Tipps vor, die in der aktuellen Situation hilfreich sein können.
Informationspausen einlegen
Obwohl es den meisten Menschen wichtig ist, über die neuesten Entwicklungen up-to-date zu bleiben, kann es helfen, sich auf wenige vertrauenswürdige Quellen zu beschränken und auch mal eine Informationspause einzulegen. Beim Surfen im Internet kann man zum Beispiel eine Stoppuhr stellen, um sich selbst einen zeitlichen Rahmen zu setzen.
Routine, Routine, Routine
Für viele klingt Routine erst mal nach Alltagsstress. Dabei hat sich gezeigt: feste Zeiten und Abläufe können uns entspannen. Eine feste Mittagspause im Homeoffice einzuhalten ist gar nicht so einfach, hilft aber, sich bewusst von der Arbeit abzugrenzen. Kleine Morgen-Rituale, feste Termine für Telefonate oder abendliche Spaziergänge können der Woche eine Struktur geben. Wer sich an einen Zeitplan gewöhnt, hat mehr Energie um über andere (schönere) Dinge nachzudenken.
Sorgen Sie für sich
In stressigen Zeiten sind die einfachsten Dinge oft am schwierigsten. Dabei ist es erstaunlich, welche Auswirkungen Schlaf, Bewegung und Ernährung auf unsere Stimmung haben. Statt von heute auf morgen topfit werden zu wollen, können auch schon kleine Schritte helfen. In der nächsten Stresssituation kann es sinnvoll sein, im Kopf diese Check-Liste durchgehen: Wann habe ich das letzte Mal ausreichend geschlafen? Habe ich mich heute schon aktiv bewegt? Wäre es vielleicht Zeit für eine ausgewogene Mahlzeit? Der Stress-Auslöser mag dadurch zwar nicht verschwinden – aber wenn man ausgeschlafen, ausgeglichen und satt ist, kann man sich der Herausforderung schon viel besser stellen.
Kann man sich auf Krisen vorbereiten?
Die oben genannten Tipps sind im Alltag trainierbar. Auszeiten, Routinen und körperliches Wohlbefinden verleihen Stabilität und fördern somit auch die Resilienz. Nachdem man sich diese Angewohnheiten angeeignet hat, fällt es oft leichter, auch in einer Krisensituation dabei zu bleiben. Das heißt jedoch nicht, dass stressige Situationen die bisherigen Routinen nicht dennoch ins Wanken bringen können. Manchmal können neue Herausforderungen auch neue Routinen erfordern – und uns lehren, ganz neue Wege zu gehen. Auch durch die Krise selbst können wir also etwas lernen. Wer eine herausfordernde Lebenssituation durchstanden hat, vertraut eher auf seine Selbstwirksamkeit und darauf, auch die nächste Krise bewältigen zu können. Es ist daher nicht zu empfehlen, von vornherein jedwede Art von Stress vermeiden zu wollen – ein gewisses Maß an Stress schult den Umgang mit zukünftigen Herausforderungen.
Manchmal braucht es auch Widerstand um gegen unfaire Situationen vorzugehen.
Was hat Resilienz mit Widerstand zu tun?
Gemeinhin trifft der Resilienz-Begriff auf viel Begeisterung: Schließlich lenkt er den Fokus auf die Ressourcen der Menschen und ihre Selbstheilungskräfte. Allerdings melden sich mittlerweile auch vermehrt kritische Stimmen, die darin eine Tendenz erkennen, die Verantwortung zur mentalen Gesundheit auf das Individuum abzuwälzen. Die krankmachenden Umstände, in denen Menschen sich bewegen, werden dagegen selten angefochten. Betroffene würden dazu anzuhalten, die eigene Resilienz zu steigern, statt die Bedingungen zu verändern, unter denen Stress entsteht. Eine Kritik an Arbeitsbedingungen oder sozialen Ungleichheiten kommt oftmals zu kurz. Sollte man nicht besser den Stress reduzieren, als die Menschen stressresistenter zu machen? Hierbei kann es helfen, eine Balance zwischen Anpassung und Widerstand zu finden. Anpassung meint, sich in Stresssituationen kreativ auf die Gegebenheiten einzustellen und individuelle Lösungen zu finden. Manchmal gibt es aber auch Umstände, die unfair sind oder langfristig viele Menschen belasten (z.B. ungerechte Arbeitsbedingungen). Widerstand hieße dann, diese Umstände auch verändern zu wollen oder anzuerkennen, dass es Strukturen gibt, die man allein nicht ändern kann. Resilienz ist also ein facetten-reicher Begriff. Er zeigt uns, wie wichtig unsere eigenen Selbstheilungskräfte sind, soll allerdings nicht suggerieren, dass es im Falle einer Krise immer darauf ankommt, aus allem “das Beste zu machen”. Erinnern wir uns zum Beispiel an den Gummiball, der an der Wand abprallt. Obwohl er in der Lage ist, sich zu verformen, können wir uns auch fragen: Warum ist da eigentlich eine Wand im Weg?
Externe Quellen
- Resilienz lässt sich lernen (Psychologie heute)
- Resilienz und Schutzfaktoren (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
- Die 10 wichtigsten Empfehlungen zur Stärkung der psychischen Gesundheit während der Coronavirus-Pandemie (Leibniz-Institut für Resilienzforschung)
- Resilienz: gegen Stress gewappnet (quarks)